zu Teil 1
Verkauftes Herz
Teil 2
25. Oktober, Kiel
Es war ein trüber, nasskalter Nachmittag. Der Regen klatschte auf die von Schlaglöchern durchzogenen Straße. Missmutig kaute Jeanny auf ihrer Karotte herum und blickte zu der aufgelassenen Tankstelle auf der anderen Seite. Inzwischen war es nur noch eine halb verfallene Werkstatt, vor der ein paar Autowracks vor sich hinrosteten.
Die junge Frau stand in der Eingangstür der Bluemoon Bar. Einem Nachtclub, der wohl eher den Namen Bordell verdiente. Nein, er verdiente den Namen nicht nur, er war genau das. Jeanny stand in nuttigen, weißen Lederstiefeln und Minirock in der Kälte und rang nach Luft. Unsicher knabberte die Studentin an der orangenen Stange herum. Sie trug ein aufreizendes dunkelviolettes Top und eine schwarze Stola.
Mit leicht kauenden Bewegungen sah sie sich verloren um. Sie hatte Lust auf Schokolade. Wenn diese Tankstelle doch nur noch geöffnet hätte. Dort hätte sie sich einen sündigen Schokoriegel kaufen können und müsste nicht, auf diesem gesunden, aber im Moment vollkommen unzureichenden Ding herumkauen. Überhaupt war hier alles wirklich seltsam. Direkt neben der Garage stand ein Krankenwagen mit dänischen Autokennzeichen. Der Stand jetzt schon seit zwei Tagen da. Wieso steht ein ausländischer Krankenwagen in einem heruntergekommenen Industriepark zwei Tage lang vor einer verfallenen Werkstatt und neben einem Bordell?
Jeanny dachte mal wieder zu viel nach. Das war vermutlich das Problem. In ihrem Kopf dachte sie an einen Patienten, der vielleicht seit zwei Tagen da drinnen vergessen wurde. Sie überlegte kurz die Straßenseite zu wechseln, um nach dem vermeintlichen Opfer zu sehen. Der Regen und die Kälte ließen sie zögern. Vielleicht sollte sie die Polizei rufen? Es war bestimmt keine schlechte Idee. Vielleicht hatte jemand den Wagen dort vergessen und fand ihn nicht wieder. Oder jemand hat ihn gestohlen? Tausend Gedanken schossen durch den Kopf der Neunzehnjährigen. Tausend Gedanken, die nichts mit dem zu tun hatten, weshalb sie hier war.
"Ich dachte du wolltest hier Arbeiten! Wenn du das nicht willst, es gibt viele arme hübsche Mädchen aus dem Osten, die gerne deinen Platz hier hätten", harschte sie auf einmal die Puffmutter an. Claudia war 41 Jahre alt und mit dem Besitzer des Bluemoon zusammen. Sie war so etwas wie Jeannys Chefin.
"Ich habe nur mal schnell eine Karotte gegessen, ich hatte heute noch nichts zu essen!", verteidigte sich Jeanny, die es nicht mochte, wenn man sie so anfuhr. Außerdem stimmte es. Claudia hatte es den Mädchen im Bluemoon verboten, drinnen etwas zu Essen, deshalb war sie ja auch hinaus in die Kälte gegangen.
"Dann schmeiß hier wenigstens nicht deinen Müll auf den Boden!"
"Was?"
"Deine Karottenreste. Ich will nicht, das du unseren Eingang verschmutzt." Genau genommen war es der Hintereingang, der auf der Frontseite des Hauses lag. Die heuchlerische Realität des Geschäfts sorgte dafür, dass die Kunden den Nachtclub durch den Eingang hinter dem Haus betraten, wo sich auch die Parkplätze befanden. Jeanny und ihre Arbeitskolleginnen hingegen nutzten die ursprüngliche Vordertür, wenn sie das Bluemoon betraten oder verließen.
Jeanny hatte auch schon über diesen skurrilen Sachverhalt nachgedacht, doch im Moment gab es andere Dinge. Sie stopfte sich die Karotte vollständig in den Mund und kaute demonstrativ vor den Augen der schwarzhaarigen, etwas rundlicheren Frau mit überdimensionierten, künstlichen Brüsten. Schließlich schluckte sie und sprach trotzig: "Das war meine erste Karotte, die ich mir rein gesteckt habe. Ich mach keinen Müll."
"Und was ist damit?" Die reife Frau deutete auf den Boden. Zu Jeannys großer Überraschung lag dort ein angebissenes Karottenstück herum, welches in Form und Große genau der ähnlich sah, die sie gerade so hastig verspeist hatte. Verdammt, wo kam die den her?
"Die, die gehört mir nicht."
Claudia musterte das Mädchen, das halb so alt war wie sie mit strafendem Blick. Sie sagte nichts, sondern drehte sich nur um, und ging zurück in den Nachtclub. "Komm jetzt. Es ist gleich Feierarbeiten. Und viele Kunden kommen dann auf dem Nachhauseweg bei uns vorbei."
Jeanny überlegte kurz die Karotte aufzuheben, um sie dann in den Müll zu schmeißen. Aber sie weigerte sich, eine fremde Karotte anzufassen. Wer weiß, wem die gehörte? Die EHEC-Krise war schließlich erst ein paar Monate her.
weiter zu Teil 3
Soso in Kiel spiel die Story , du wirst mir immer sympatischer .
AntwortenLöschenNoch 100km nördlicher und ich helfe dir die richtigen Plätze
zu finden . Wieder kurz und bündigt . Aber recht hat Jeanny
ein Falk-Krankenwagen in Kiel fällt echt auf .
HHH