Schwarzes Glück
I.
Dunkle Wolken zeichneten sich am Horizont ab, als Julia ihre
Wohnung verließ. Sie lebte im sanierungsbedürftigen Hinterhof einer ansonsten
belebten Straße, so dass der Kontrast zwischen den grauen Fassaden und dem
belebten, bunten Boulevard mehr als offensichtlich wurde. Doch selbst Julia
paste zu jenem Widerspruch.
Schwarzer Stoff schmiegte sich an den zierlichen Körper des
ansonsten eher blassen Mädchens, welches gerade an einem Handyshop vorbei ging.
Sein türkischstämmiger Besitzer verkaufte neben mobiler Kommunikation auch
allerhand Lebensmittel und andere Dienstleistungen. Schon öfters hatte Julia
bei ihm ihr Handy aufgeladen oder war am Wochenende bei ihm reingeschneit, um
sich irgendein koffeinhaltiges Getränk zu kaufen. Heute aber ging sie mit ihren
hohen, schwarzen Stiefletten zielstrebig an ihm vorbei, was selten genug
vorkam.
Julia hatte kein Auto, sie besaß nicht einmal einen
Führerschein. Das war jedoch nicht schlimm, denn in der Stadt brauchte sie
keines, und in den vergangenen 19 Jahren hatte sie die Stadt nur dreimal
verlassen. Damals war sie ein kleines Kind gewesen und hatte mit ihren Eltern
urlaub gemacht. Nun war sie eine erwachsene Frau, auch wenn manche ihre
Aufmachung immer noch als kindisch verschrien. Julia kümmerte es nicht. Sie war
weder ein Goth noch ein Emo, auch wenn sie sich oft in diesen Jugendszenen
bewegte. Sie ging ihren eigenen Weg, auch wenn dieser nicht für jeden offen
lag.
Ihr Weg führte sie zur S-Bahnstation, die nur ein paar
Hundert Meter von ihrer kleinen Wohnung entfernt lag. Die anfängliche
Selbstsicherheit in ihrem Schritt wich, als sie die Treppen hinauf zu dem zu
dem Gleis bestieg. Es war ein kalter Februartag und der Schnee war zu kleinen
Haufen am Rande des Gehwegs zusammen geschoben. Eis und Schnee machten ihre
nichts aus. Im Gegenteil - Julia liebte die Zeiten, in denen die Nächte länger
wurden, und das Licht nur wenige Stunden am Tag zu sehen war. Ihr schwarzer
Seidenschal bot ihr nur für einen Moment Schutz vor der Kälte, doch sie liebte
ihn und wollte ihn nicht gegen ein wärmeres Kleidungsstück tauschen.
Das Gleis war verlassen. Niemand saß auf den Bänken, niemand
wartete auf die Bahn. Wie ein schwarzer Schatten wirkte Julia, als sie alleine
dastand, während Beton und Schnee den Kontrast zu ihrer Erscheinung boten. Er
war nicht da. Unschlüssig blickte sie hinauf zu der Anzeige. Fünf Minuten, dann
würde die nächste S-Bahn einfahren. Julias Herz machte einen Satz und sie
fummelte mit ihren von schwarzen Lederhandschuhen bedeckten Fingern das Handy
aus der Tasche ihres ebenfalls schwarzen Ledermantels.
Eine neue Nachricht stand auf dem Display. Rasch sah sie
nach, doch zu ihrer Enttäuschung entpupte sich die Nachricht nur als Werbe-SMS.
Wo steckte er nur? Sie überlegte, ihm eine SMS zuschicken, oder ihn gar
anzurufen. Unsicher wanderten ihre Finger über die Tastatur ihres alten
Nokia-Handys. Sie suchte nach seiner Nummer. Luzifer war der Name in ihrem
Adressbuch. Ein Knopfdruck und das Mobiltelefon würde ihn anrufen. Sie zögerte.
Ruf dich zur Ordnung, sprach eine Stimme in ihrem Kopf. Sie
sollte sich nicht wie ein unreifes Kind benehmen sondern endlich zur Ruhe
kommen. Luzifer würde bestimmt bald kommen. Auf die Bahn war nie Verlass, warum
sollte es bei ihm anders sein. Verloren steckte sie das Handy wieder in ihre
Manteltasche.
Vielleicht kommt er gar nicht, meinte eine andere Stimme.
Vielleicht war es nur ein schlechter Scherz, denn er im Skype abgelassen hatte,
als er ihr versprochen hatte, sie heute zu besuchen, kurz bevor er offline gegangen
war. Im Internet war es leicht etwas zu versprechen, was niemals eingehalten
wurde. Julia wusste das nur zugut. Aber Luzifer war anders.
Sie kannte ihn schon ein paar Monate. Sie hatten sich in
einer Internetplattform für Goths kennengelernt und der Kontakt war seit dem
immer intensiver geworden. Aus einem anfänglichen Flirt war inzwischen eine
Onlineromanze geworden. Jeden Abend trafen sie sich im Netz und unterhielten
sich stundenlang über ihr Leben und mehr. In den vergangenen Wochen war aus der
gelegentlichen Unterhaltung über Sex heißer Telefonsex geworden. Was Julia noch
vor wenigen Monaten als pervers empfunden hatte, erregte sie nun auf eine ganz
besondere Weise.
Luzifers Stimme war ihr so vertraut, auch wenn sie ihn nur
von Bildern und sporadischen Auftritten vor der Webcam kannte. Es war seltsam,
wie schnell moralische Hürden fallen konnten, wenn man von der erotischen
Stimme eines Fremden gefangen war, der einen mit seinen Worten binnen weniger
Momente zu fesseln vermochte. Allein der Gedanke an ihn ließ sie in ihrem gut
verhüllten Höschen ganz feucht werden, auch wenn es sie zugleich schmerzte,
dass er sie vielleicht mit seiner Ankündigung verarscht hatte.
Endlich kam der die S-Bahn und hielt am Gleis. Nur drei
Menschen stiegen aus. Zwei ältere Frauen und ein schwarzgekleideter Mann.
Klein, dicklich und mit einer Glatze. Er ähnelte ihrem Onlinelover überhaupt
nicht, und so beachtete sie ihn nicht weiter, während er dem Mädchen einen
neugierigen Blick zu warf, bevor er sich zur Treppe bewegte.
Langsam keimte Verzweiflung in ihr auf. Sie war ein paar
Minuten zu spät am Treffpunkt, aber er war nun schon 20 Minuten zu spät. Einen
Zug wollte sie noch abwarten. Wenn er dann nicht kam, würde sie ihn anrufen.
Oder, nein. Sie würde ihm nicht hinterherlaufen wie ihrem untreuen Exfreund.
Sie würde ihn einfach vergessen. Ja genau, so einfach würde sie es sich machen.
Sie würde ihn einfach aus ihrer Kontaktliste löschen. In die Verzweiflung
mischte sich immer mehr Ärger.
Wütend ballte sie ihre Faust. Luzifer verstand es, sie zu
reizen. Jetzt aber machte er sie wütend. Er hatte ihr etwas versprochen und sie
versetzt. Julia fühlte sich von ihm verletzt und ihre Gedanken waren nun die
eines verwundeten Tiers. Alles Schlechte, was man ihr in ihrem noch nicht so
langen Leben angetan hatte, projizierte sie nun binnen weniger Momente auf
einen jungen Mann, denn sie nur aus dem Netz kannte. Sie verfluchte ihre
eigenen Naivität und gelobte Besserung.
Unruhig ging sie auf dem Bahnsteig auf und ab. Die Kälte
kroch ihr langsam und ihre dünnen Sachen. Ein Teil von ihr wollte nur noch
schreien. Dieser Teil wollte Luzifer anschreien und verfluchen. Sie hasste
Leute, die unehrlich zu ihr waren. Ein anderer Zeil der in der Kälte zitterte, sehnte
sich jedoch nach dem Mann, der ihr so schöne und erotische Dinge ins Ohr
geflüstert hatte. Sie wollte ihn spüren, wollte die Hände kennenlernen, die zu
jenen Worten gehörten. Sie wollte, dass er all jene lüsternen Versprechen wahr
machte, die sie in ihren gemeinsamen Fantasien durchlebt hatten.
Es war jener Teil, der sie auf dem S-Bahnhof hielt. Jener
Teil war schuld daran, dass sie mit erwartungsvollen Augen auf die Türen des
Zuges blickte, aus dem wieder nur ein älteres Ehepaar und zwei Türken
ausstiegen. Eine Träne bildete sich in ihren Augen. Er hatte sie wirklich
verarscht. Julia fühlte den Schmerz in ihrer Brust. Niemals wieder hatte sie
sich geschworen, und jetzt war es doch wieder passiert.
Sie holte ihr Handy heraus und begann zu tippen. Voller Zorn
kaute sie auf ihren Lippen, während sie eine SMS voller Beleidigungen schrieb
und wieder löschte. Nach drei gelöschten Versuchen fuhr erneut eine Bahn ein.
Julia blickte diesmal halb aufgelöst auf die aussteigenden Personen und ließ
plötzlich ihr Handy fallen, während sie mit halb offenem Mund den Mann
anstarrte, der wie aus dem nichts vor ihr aufgetaucht war.
"Hallo Julia", hauchte die rauchige Stimme des
dunkelhaarigen Fremden, der sie mit seinen smaragdgrünen Augen anlächelte.
Unter seinem kantigen Kinn war ein kleiner, ebenfalls schwarzer Kinnbart zu
sehen, der ihm wahrlich das Aussehen eines Teufels verlieh. Einen Moment lang
war sie starr, während er seine Hand anhob und auf ihre verfrorene Wange legte.
Ein unnatürlicher, warmer Schauer durchflutete ihren Körper und das Mädchen
konnte nichts weiter tun, als den ganz in schwarz gehüllten Mann anzustarren,
der gut zwei Köpfe größer war als sie.
"Luzifer", war alles, was sie von sich gab,
während all der Hass, die Wut und die Verzweiflung aus ihren Augen verschwanden
und einer fast magischen Sehnsucht wichen.
*mit der Peitsche rumfuchtel* Schreib! Schreib weiter! Der Einstieg gefällt mir nämlich.
AntwortenLöschenAllein schon, weil deine Geschichte im Winter ansetzt, wo wir Sommer haben.
Und wegen diesem für und wieder das sie erlebt beim Warten, was mir recht vertraut vorkommt. Nicht beim warten, aber es ist nachvollziehbar.
fängtja schon toll an^^
AntwortenLöschenBITTE mehr davon !!!
AntwortenLöschenOK - Gut - Ausbaufährig - Alles offen - Spannung aufgebaut - gut !
AntwortenLöschenHHH